Goa - die Partyküste Indiens
Feni, Flea Markets und Fischcurry

Derzeit fallen sie morgens zu dritt in ihre Betten. Der 23-jährige Halbruder Oliver, der teils in Pforzheim, teils in Bombay aufgewachsen ist, hilft bis zum Saisonende hinter der Bar aus. "Hier kann ich 'ne Menge lernen", sagt Oliver mit einem Grinsen, während er Wodka und O-Saft in einen Plastikbecher gießt. Alkohol fließt im flächenmäßig kleinsten indischen Bundesstaat nicht nur selbstverständlicher, sondern auch günstiger als in irgendeinem anderen Teil des Subkontinents. Der populäre, aus Cashews oder Kokospalmen gebrannte hochprozentige Feni ist jedoch Geschmackssache.

Nach 450-jähriger portugiesischer Kolonialherrschaft ist Goa sehr stark europäisch geprägt. Das kulturelle Erbe zeigt sich im katholischen Bevölkerungsanteil, der bei knapp 30 Prozent liegt, in der Architektur - schmucke, weiße Kirchen in Old Goa gehören zum Weltkulturerbe -, auch an der hohen Alphabetisierungsrate. Nur wenige Jahre nachdem die portugiesische Herrschaft 1961 endete, kamen die ersten Blumenkinder aus Europa. Mit den Hippies begann in den späten 60ern der Tourismus, der auch heute noch einen der wichtigsten wirtschaftlichen Sektoren Goas ausmacht. Doch über die Jahre hat sich das Publikum an der Konkanküste verändert: "Weniger Deutsche, mehr Engländer, mehr Skandinavier, Australier und immer mehr Russen", sagt Daniel, "die oft kein Englisch sprechen können. Ich schätze, ich sollte Russisch lernen." Nur der Dezember stellt bezüglich des Publikums eine Ausnahme dar. Im letzen Monat des Jahres und um Neujahr sind Hotelzimmer fast restlos ausgebucht, und viele Inder kommen in die ehemalige portugiesische Kolonie.

"Wirkliche Hippies gibt's hier nicht mehr", sagt Daniel mit ernster Miene. Besonders in Anjuna und Vagator sieht man zwar viele freakige Gestalten, die ihre Haarpracht zu Dreadlocks verarbeitet haben, und auch die vielen Roadside-Geschäfte bieten überwiegend Bekleidung an, die man gemeinhin als Hippie-Klamotte bezeichnen könnte. Aber hat das noch etwas mit der Generation zu tun, die sich hier in den 70ern tummelte? "Die damaligen Hippies sind heute entweder den Drogen verfallen oder haben sich als Geschäftsleute etablieren können", sagt Daniel. Tatsächlich trifft man auf viele Deutsche, die ihre Waren beim "Ingo's Saturday Night Market" in Arpora anbieten - von Textilien über Schmuck bis hin zu Bratkartoffeln und deutschen Würsten. Neben dem mittwochs stattfindenden Flea Market in Anjuna ist der Saturday Night Market der Melting Pot schlechthin für alle möglichen Nationalitäten. Andere Deutsche, die vor dreißig Jahren nach Goa gekommen sind, haben Cafés eröffnet, in deren Speisekarten sich deutsches Brot, Frikadellen und Müsli finden lassen. Eine vertraute Alternative zum goanesischen Fischcurry, das jedoch auch ganz hervorragend schmeckt. Goas Speisekarten lassen nur wenige Wüsche offen.

"Goa ist nicht typisch indisch", so Daniel, "es ist eine Fusion mit vielen Einflüssen". Und der einzige Küstenabschnitt Indiens, an dem Baden in Bikini und Badehose alltäglich ist. An manchen Stränden sparen sich einige europäische Frauen sogar das Bikinioberteil, auch wenn dies in höchstem Maße gegen die indische Kultur verstößt. Aber was bedeuten schon Sitten und Werte eines Landes, wenn diese sich nicht mit nahtloser Bräune vereinbaren lassen?

Wenn die Saison endet und auch die letzten Tangaträgerinnen, Rucksacktouristen und Pauschalurlauber die Strände geräumt haben, schließen die meisten sogenannten Beach Shacks, also Strandhütten, Geschäfte, Restaurants und Clubs. Die Regenzeit verbringen die Brüder Daniel und Rahul teils in ihrer Heimat Bombay, teils damit herumzureisen. "Wir suchen gerade nach einer Location für einen neuen Club." Dazu braucht es neue Inspiration auch aus anderen Ländern. "Ich war zwar schon in Spanien, aber noch nie auf Ibiza", sagt Daniel, als würde er ein Geständnis ablegen. Auch die Regierung werde sich in den kommenden zwei Jahren entscheiden müssen, wie es für die Partyregion Goa weitergehen soll, zurückrudern oder "party on". Mit einer Geste verraten die Brüder, wie die Entscheidung ihrer Meinung nach ausfallen wird: Die Daumen zeigen nach oben. Die Partycrowd darf gespannt sein.